Maßgeschneiderte Maßnahmen sind gefragt, wenn Inseln, ländliche Gebiete, Grenz- und Bergregionen lebenswert bleiben sowie Ungleichheiten bekämpft und geografische Nachteile ausgeglichen werden sollen. Das stellt der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR) in einer Stellungnahme fest, die von der Präsidentin der korsischen Versammlung erarbeitet wurde.
Gebiete mit dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen, wie z. B. sehr dünn besiedelte Gebiete, Inseln, Grenz- und Bergregionen, ländliche Gebiete und Regionen im industriellen Wandel machen flächenmäßig den Löwenanteil der EU aus. So bedecken beispielsweise Bergregionen 29 % ihrer Fläche, und auf den Inseln leben über 20,5 Millionen Menschen (4,6 % der EU-Bevölkerung). Aufgrund ihrer Besonderheiten sind diese Gebiete stärker gefährdet, und die zunehmende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit macht sich dort in erhöhtem Maße bemerkbar. Laut Gründungsvertrag hat die Europäische Union den Auftrag, dieser Situation besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Vasco Alves Cordeiro, Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, erklärte: „Der8. Kohäsionsbericht hat gezeigt, dass die Unterschiede in Europa zunehmen und insbesondere die Gebiete mit dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen betroffen sind. Der Kohäsionspolitik kommt eine entscheidende Rolle bei der Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts in Europa zu, damit kein Gebiet den Anschluss verliert. Sämtliche europäischen Maßnahmen mit Auswirkung auf die Gebietsebene müssen so konzipiert werden, dass sie dort keine negative Wirkung entfalten.“
Die Berichterstatterin für die am 1. Dezember auf der Plenartagung verabschiedete Stellungnahme, Marie-Antoinette Maupertuis (FR/EA), Präsidentin der korsischen Versammlung, erklärte: „Die Europäische Union würde gegen ihren Gründungsvertrag handeln, wenn sie die Benachteiligung von Gebieten wie Inseln, Gebirgen und ländlichen Gebieten tatenlos hinnehmen würde. Ihre geografische Situation verursacht zusätzliche Kosten für Dienstleistungen wie Verkehr, Energie und digitale Anbindung. Das muss berücksichtigt werden, damit sich die Unterschiede zwischen den Regionen nicht noch weiter vertiefen. Der Ausschuss fordert daher, dass die Bedürfnisse dieser Regionen nicht nur bei der Gestaltung der Kohäsionspolitik, sondern auch bei den diversen europäischen Maßnahmen, die territoriale Relevanz haben, berücksichtigt werden.“
In der Debatte sagte Younous Omarjee, Vorsitzender des Ausschusses für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments: „Artikel 174 des EU-Vertrags betrifft einen ganz wesentlichen Aspekt der Kohäsionspolitik: die Umsetzung des Solidaritätsprinzips, das die Gleichheit aller Gebiete in Europa in Aussicht stellt. Aber es bleibt noch viel zu tun. Die in Artikel 174 niedergelegten Grundsätze müssen immer wieder aufs Neue in Erinnerung gerufen und bekräftigt werden, so wie es der Europäische Ausschuss der Regionen auch tut, um der künftigen Kohäsionspolitik neue Gestalt zu verleihen.“
Der AdR warnt davor, dass die derzeitigen Bemühungen der Europäischen Union zur Förderung des Zusammenhalts auf dem Kontinent, wie die Territoriale Agenda 2030 und die neue langfristige Vision für die ländlichen Gebiete, möglicherweise nicht ausreichen. Die wachsende Kluft zwischen Stadt und Land sowie der Niedergang von Industrieregionen sind ebenfalls sehr besorgniserregend, da sie, wie in der Stellungnahme dargelegt, zur politischen Polarisierung beitragen. Sie schüren bei den Menschen das Gefühl, dass ihnen demokratische Rechte vorenthalten werden, und sie tragen dazu bei, dass Vertrauen in die nationalen und europäischen Institutionen verloren geht.
Die Kommunal- und Regionalpolitiker fordern die EU-Institutionen deshalb auf, territoriale Folgenabschätzungen zu einem festen Bestandteil des politischen Entscheidungsprozesses der EU zu machen, insbesondere für Politikbereiche wie Verkehr, Energie, Binnenmarkt und Wettbewerb sowie für die Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, mit denen die Erholung von der COVID-19-Pandemie beschleunigt werden soll. Ein solcher Ansatz würde nach Auffassung des AdR Ungleichheiten wirksamer bekämpfen und den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa fördern. Zudem würde er dem kürzlich von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Grundsatz, dem Zusammenhalt nicht zu schaden, entsprechen.
Der AdR ruft die Mitgliedstaaten außerdem auf, auf regionaler oder lokaler Ebene zentrale Anlaufstellen für die EU-Kohäsionsfonds einzurichten. Es geht darum, das Verständnis und den Zugang zu diesen Ressourcen für Gebiete mit geografischen und demografischen Nachteilen zu erleichtern, von denen viele sowohl im öffentlichen Sektor als auch in der Privatwirtschaft unter einem Arbeitskräftemangel leiden.
Hintergrund
Am Vortag der Verabschiedung auf der AdR-Plenartagung am 30. November erläuterte Berichterstatterin Marie-Antoinette Maupertuis ihre Stellungnahme im Ausschuss für regionale Entwicklung (REGI) des Europäischen Parlaments. Eine Videoaufzeichnung der Sitzung ist hier abrufbar.
Gemäß Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gilt die „besondere Aufmerksamkeit“ der EU dem „Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern. Unter den betreffenden Gebieten gilt besondere Aufmerksamkeit den ländlichen Gebieten, den vom industriellen Wandel betroffenen Gebieten und den Gebieten mit schweren und dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen, wie den nördlichsten Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte sowie den Insel-, Grenz- und Bergregionen.“
Die Europäische Kommission hat im Februar den 8. Kohäsionsbericht vorgelegt. Dargelegt werden darin sowohl positive als auch negative Entwicklungen in den Regionen, Städten und ländlichen Gebieten der EU. Zwar konnten weniger entwickelte Regionen ihre Rückstände verringern, doch stagniert die Entwicklung in vielen Übergangsregionen. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Unterschiede insbesondere innerhalb der Mitgliedstaaten zunehmen, was sich wiederum unverhältnismäßig stark in den Gebieten mit strukturellen geografischen Nachteilen bemerkbar macht. Der AdR hat im Oktober seine Stellungnahme zum 8. Kohäsionsbericht verabschiedet.
Gemeinsam mit den führenden europäischen Verbänden der Städte und Regionen ist der AdR Gründungsmitglied der Kohäsionsallianz (#CohesionAlliance), deren Ziel darin besteht, den Zusammenhalt als Grundwert der Europäischen Union und als zentrales Ziel für all ihre politischen Maßnahmen und Investitionen zu bekräftigen. Weitere Informationen finden Sie hier.
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