Die Mitglieder der AdR-Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen (CIVEX) berieten mit den Vertretern des Europäischen Parlaments Antonio Tajani und Helmut Scholz wie eine Million Kommunal- und Regionalpolitiker*innen in Projekte und Initiativen eingebunden werden können, die Europa bürgernäher machen und die Konferenz zur Zukunft Europas zum Erfolg führen. Sie forderten vor allem die Beteiligung der AdR-Mitglieder an dem vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) des Europäischen Parlaments lancierten Pilotprojekt „Aufbau Europas mit lokalen Gebietskörperschaften“ (BELE).
Laut einem Spezial-Eurobarometer zur Zukunft Europas , das vor der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Konferenz zur Zukunft Europas durch die Präsidenten der drei EU-Organe, Ursula von der Leyen, David Sassoli und Charles Michel, am 10. März veröffentlicht wurde, stimmten 76 % der Befragten zu, dass die Konferenz einen deutlichen Fortschritt für die Demokratie innerhalb der EU darstellen würde. 92 % der Europäer fordern, dass die Stimme der Bürger bei Entscheidungen über die Zukunft Europas stärker berücksichtigt wird. Wirksame Bürgerkonsultationen und Rückmeldungen zu den Ergebnissen der Konsultationen sind deshalb entscheidend für den Erfolg der Konferenz, die am 9. Mai anlaufen wird. Die Mitglieder der AdR-Fachkommission für Unionsbürgerschaft, Regieren, institutionelle Fragen und Außenbeziehungen (CIVEX) diskutierten mit Vertretern des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der Bertelsmann-Stiftung darüber, wie die Konferenz zum Erfolg geführt werden kann.
Mark Speich (DE/EVP), Staatssekretär für Bundesangelegenheiten, Europa sowie Internationales des Landes Nordrhein - Westfalen und Vorsitzender der Fachkommission CIVEX des AdR, erklärte: „Kommunal- und Regionalpolitiker sind für das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und ihren Bürgern von zentraler Bedeutung. Mit der Konferenz zur Zukunft Europas haben wir die Gelegenheit, die konkreten Vorstellungen der Bürger über die Zukunft Europas nach Brüssel weiterzuleiten.“
In der ersten thematischen Debatte wurde sondiert, wie die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die Beteiligung der Bürger an der Konferenz zur Zukunft Europas und darüber hinaus fördern können. Helmut Scholz , Mitglied des Europäischen Parlaments (DE/GUE-NGL) und Berichterstatter für den Berichtsentwurf zum Bürgerdialog und zur Beteiligung der Bürger an der Entscheidungsfindung in der EU, stellte den Mitgliedern der Fachkommission CIVEX die wichtigsten Ergebnisse seines Berichts vor. Darin werden die bereits geleistete Arbeit der EU-Institutionen und des AdR zur Bürgerbeteiligung aufgegriffen. Er fordert die Entwicklung dauerhafter partizipatorischer Verfahren, damit sich die Bürger an der EU-Beschlussfassung beteiligen können. Bereits im Oktober 2018 war der Gedanke eines ständigen Dialogs mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Legislaturperioden hinaus ein zentraler Vorschlag der AdR-Stellungnahme „Nachdenken über Europa: Die Stimme der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Europäische Union“ (Berichterstatter: Karl-Heinz Lambertz und Markku Markkula).
„Die Konferenz zur Zukunft Europas bietet eine einzigartige Gelegenheit, mit den Bürgerinnen und Bürgern über ihre Visionen und Anliegen in Bezug auf die EU ins Gespräch zu kommen“ , so Helmut Scholz . „Aber jetzt schon muss allgemein klar sein: Alle sollten sich an der EU-Beschlussfassung beteiligen können, auch über die Konferenz hinaus. Deshalb brauchen wir die Unterstützung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner. Nur so können wir einen europäischen öffentlichen Raum schaffen und die demokratische Legitimität der EU stärken.“
Dominik Hierlemann , leitender Fachberater, und Anna Renkamp , leitende Projektmanagerin, der Bertelsmann-Stiftung präsentierten den CIVEX-Mitgliedern frühere Erfahrungen mit der Durchführung lokaler, regionaler und transnationaler digitaler Bürgerdialoge. Sie erläuterten auch, was die Bertelsmann-Stiftung im Rahmen der geplanten gemeinsamen Initiative mit dem AdR, die demnächst ins Leben gerufen werden soll, anbieten könnte. Mithilfe neuer Instrumente könnten die gewählten Kommunal- und Regionalpolitiker*innen besser mit den Bürgern interagieren. Die demokratischen Verfahren und ihre Funktionsweise werden somit gestärkt. Zwischen September 2021 und Januar 2022 sollen grenzüberschreitende Bürgerdialoge und -foren auf lokaler Ebene stattfinden. Diese Dialoge sollten, auch auf der Grundlage der Vorschläge der AdR-Stellungnahme „Lokale und regionale Gebietskörperschaften im ständigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“ , einen Beitrag zur Konferenz leisten.
Auf wie wichtig es ist Maßnahmen zu setzen, mit denen deutlich wird, dass die EU auf lokaler Ebene beginnt, wies Franz Schausberger (AT/EVP), Landeshauptmann und AdR Beauftragter des Landes Salzburg, hin. Er berichtete, dass jede zweite Gemeinde im Land Salzburg eine eigene EU-Gemeinderätin bzw. einen eigenen EU-Gemeinderat habe. „Sie sind wichtige Interpreten der EU-Politiken in unseren Gemeinden. Am Anfang gab es in ganz Österreich nur rund 200, derzeit sind es rund 1.200 EU-Gemeinderätinnen und Gemeinderäte.” Den Wert der EU-Gemeinderäte schätzt Schausberger hoch ein: „Sie sollen die ersten Ansprechpartner für Fragen und Anliegen zur EU auf lokaler und regionaler Ebene sein. Denn die Europäische Union fängt in der Gemeinde an.“
Die zweite Debatte betraf die Initiativen der für EU-Angelegenheiten zuständigen Gemeinde- und Regionalräte. Im Dezember 2020 billigte das AdR-Präsidium den Vorschlag zur Einrichtung eines Netzes von Gemeinde- und Regionalräten , die in ihren Wahlkreisen für EU-Angelegenheiten zuständig sind und den AdR über ihre Aktivitäten im Rahmen der Konferenz zur Zukunft informieren. In der Zwischenzeit lancierte der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments (AFCO) das Pilotprojekt Aufbau Europas mit lokalen Gebietskörperschaften (BELE) . Im Rahmen dieses Projekts kann in den teilnehmenden lokalen Gebietskörperschaften jeweils ein Gemeinderat bestimmt werden, der für die öffentliche Kommunikation über die von der EU in dieser Gemeinde finanzierten Programme und Projekte und andere EU-Themen und Initiativen – auch als Beitrag zur Konferenz – zuständig ist. Diese beiden Projekte verfolgen ähnliche Ziele mit analogen Mitteln. In der Debatte sollten daher mögliche Synergien zwischen den Projekten des AdR und des EP unter Beteiligung der lokalen und regionalen EU-Beauftragten aus der gesamten Union ermittelt werden. Wird das AdR-Netz der lokalen und regionalen EU-Beauftragten als eine Maßnahme zur Umsetzung des BELE-Projekts betrachtet, könnte es der AdR wirksam unterstützen. Der Aufbau des Netzes der lokalen und regionalen EU-Beauftragten sollte daher im Rahmen des BELE-Pilotprojekts förderfähig sein.
Der Vorsitzende des AFCO-Ausschusses, Antonio Tajani (IT/EVP) erklärte: „ Die gewählten Regional- und Kommunalpolitiker sind Ausdruck des Reichtums und der Vielfalt Europas . Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments präsentierte im vergangenen Jahr das Pilotprojekt BELE (Building Europe with Local Entities), durch dem kommunale Verwaltungen ins Zentrum der EU-Politik gerückt werden, die die Bürgerinnen und Bürger über die Aktivitäten der Europäischen Union informieren. Die Kommunikation über die EU ist eine Herausforderung bei der Bekämpfung von Populismus und Desinformation. Der AdR und seine Mitglieder spielen hier eine Schlüsselrolle. Die Konferenz zur Zukunft Europas muss eine klare Debatte ermöglichen, und ich fordere die AdR-Mitglieder auf, sich aktiv am BELE-Projekt zu beteiligen. Wenn die Konferenz wirklich das Sprachrohr für die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger sein soll, müssen die von den Bürgern demokratisch gewählten lokalen Entscheidungsträger die ihnen gebührende Rolle und das ihnen zustehende Gewicht bekommen.“
Das BELE - Projekt wurde anschließend von Alessandro Giordani, Leiter des Referats Netzwerke in Mitgliedstaaten, Generaldirektion Kommunikation der Europäischen Kommission, vorgestellt.
Neben diesen thematischen Debatten wurde in der CIVEX-Sitzung die Stellungnahme von Jean-Luc Vanraes (BE/RE) , Mitglied des Gemeinderates von Uccle, zur Strategie für eine verstärkte Anwendung der Grundrechtecharta in der EU angenommen. Für Berichterstatter Jean ‑ Luc Vanraes „sind die Regionen letztlich die Wächter und Förderer der Grundrechte“ . Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung, dem Schutz und der Wahrung der Grundrechte einschließlich ihrer Umsetzung. Sie lassen damit die EU-Grundrechtecharta Wirklichkeit werden. In der Stellungnahme wird betont, dass die Beteiligung des AdR am interinstitutionellen Dialog über die Charta grundlegend ist. Es wird vorgeschlagen, Kontaktstellen einzurichten, um den Informationsfluss über die Charta zwischen den verschiedenen Regierungsebenen zu erleichtern. Diese Kontaktstellen könnten mithilfe konkreter Beispiele auch Orientierungshilfe für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Gestaltung ihrer Politik im Einklang mit der Charta bieten. Einem weiteren Vorschlag zufolge könnten die AdR-Mitglieder die Gelegenheit des Europatags am 9. Mai und der Konferenz zur Zukunft Europas dafür nutzen, lokale Aktivitäten zu fördern und die Bedeutung der Grundrechte und der Charta der Grundrechte in unseren Demokratien zu erläutern und zu betonen. Denn die lokalen Gebietskörperschaften sind durch ihre Bürgernähe am besten in der Lage, die Menschen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen und ihnen zu zeigen wohin sie sich bei deren Verletzung wenden können. Barbara Nolan, Referatsleiterin in der Generaldirektion Justiz und Verbraucher, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit, Grundrechtspolitik, begrüßte diese Stellungnahme.
Zudem fand ein Meinungsaustausch über das Arbeitsdokument statt, das als Grundlage für die Stellungnahme von Aleksandra Dulkiewicz (PL/EVP) , Bürgermeisterin von Danzig, zu dem von der Kommission vorgeschlagenen Europäischen Aktionsplan für Demokratie dient. Dazu äußerte sich auch William Sleath, Direktor für Bürger, Gesundheit, Migration und Sicherheit im Generalsekretariat der Europäischen Kommission. Mit dem Aktionsplan sollen die Bürger gestärkt und widerstandsfähigere Demokratien in der gesamten EU aufgebaut werden, indem freie und faire Wahlen gefördert, die Medienfreiheit gestärkt und Desinformation bekämpft wird. In der Diskussion wurde bedauert, dass der Erfolg des Aktionsplans zwar weitgehend von Maßnahmen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften abhängt, diese in der Kommissionsmitteilung jedoch leider nicht erwähnt werden. Bürgermeisterin Dulkiewicz erklärte: „Der Aktionsplan sollte zur Ermittlung konkreter Aktionen führen, die in enger Zusammenarbeit mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften durchgeführt werden. Die Demokratie kann nicht von heute auf morgen saniert werden. Aber je schneller wir handeln, umso größer ist die Chance, das Problem in den Griff zu bekommen.“ Die Stellungnahme wird von der Fachkommission CIVEX am 11. Mai 2021 angenommen.
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