In diesem Interview beantwortet Emma Nohrén (SE/Die Grünen) fünf Fragen zum Beitrag der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zum Schutz der Meeresumwelt. Die stellvertretende Bürgermeisterin der schwedischen Gemeinde Lysekil ist Berichterstatterin für einen Stellungnahmeentwurf , in dem ein neues EU - Meeresgesetz mit klaren Etappen- und Endzielen zur Verringerung der Meeresverschmutzung und zur Wiederherstellung mariner Ökosysteme gefordert wird. Mit der richtigen Unterstützung können die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften neue Maßnahmen und Projekte auflegen, die zur Rettung der Ozeane und zugleich zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Ankurbelung der Wirtschaft beitragen. Jedes Jahr gelangen zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Kunststoff in die Weltmeere. 75 % der Verschmutzung der Weltmeere entfällt auf Plastikmüll.
Warum sind unsere Ozeane und Meere für uns als EU-Bürger so wichtig?
Ozeane und Klima sind doch zwei Seiten der gleichen Medaille! Sie sind seit jeher miteinander verbunden, das eine hängt vom anderen ab. Die Ozeane regulieren unser Klima und liefern uns Sauerstoff, Nahrungsmittel und viele Ökosystemleistungen. Dieses Gleichgewicht müssen wir wahren. Andernfalls werden sich die Ozeane gegen uns wenden. Beispielsweise sehen Wissenschaftler bereits Anzeichen dafür, dass das Nordpolarmeer schon mehr Treibhausgase freisetzt als es aufnimmt.
Die Natur und die Meere sind auch wichtig für die Erholung, Gesundheit und das psychisches Wohlbefinden. Die Pandemie und ihre Beschränkungen haben uns das sehr deutlich vor Augen geführt. Küstenstädte und -regionen erleben, welch magnetische Anziehungskraft die Ozeane auf Menschen hat. Es ist ungemein wichtig, die Meere und ihre Fauna und Flora gesund zu erhalten, denn eigentlich sind sie die Hauptattraktion unserer Küsten.
Sie sind Berichterstatterin für den Stellungnahmeentwurf des AdR zum Schutz der Meeresumwelt durch subnationale Gebietskörperschaften. Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Es ist höchste Zeit zu handeln! Wir haben bereits viel wertvolle Zeit verloren und immer noch keinen guten Umweltzustand erreicht, was bedeutet, dass wir die Ressourcen der Meere nachhaltig nutzen müssen, um für künftige Generationen ihren Fortbestand zu sichern.
In allen Teilen der EU verfügen die subnationalen Gebietskörperschaften über Zuständigkeiten in wichtigen Bereichen für die Meeresumwelt. Auf kommunaler und regionaler Ebene fassen wir Beschlüsse über Verkehr, Tourismus, Abwasser- und Regenwasserbehandlung und viele andere Bereiche wie Abfallwirtschaft, Stadt- und Landplanung, Baugenehmigungen, Landwirtschaft und Industrieproduktion. Das hat alles direkte Folgen für die Meeresumwelt.
Gemeinden und Regionen haben zwar viele Befugnisse zum Schutz der Meeresumwelt, wir brauchen aber mehr Unterstützung. Unsere finanziellen Ressourcen sind bereits knapp, und es ist sehr schwierig, zusätzliche Mittel aufzutreiben und das nötige Personal zu finden, um auch nur anfangen zu können. Deshalb schlagen wir die Einrichtung einer Taskforce für den Schutz der biologischen Vielfalt der Meere Europas vor. Ihr sollten Projektleiter angehören, die uns stimulieren und auf die wir zugehen können, damit sie uns helfen, die richtigen Projekte zu entwickeln.
Was würden Sie denjenigen antworten, die sagen, dass dies jetzt nicht unsere Priorität sein sollte?
Dies hätte schon längst eine Priorität sein müssen. Wir haben den Zustand der Meere zu lange vernachlässigt. Außerdem haben wir die Meere als Müllkippe für alle Arten von Abfällen behandelt und sind uns erst vor kurzem des vollen Ausmaßes des Problems bewusst geworden. Wenn wir nicht schnell und entschlossen handeln, wird es zu irreversiblen Veränderungen kommen. Teil des Problems ist, dass die meisten Schäden unter der Wasseroberfläche auftreten und damit für das menschliche Auge unsichtbar sind. Der Verlust an biologischer Vielfalt ist bereits enorm, daher müssen wir rasch handeln, bevor es zu spät ist. Die Orte und Regionen an den Küsten sind sich durchaus des wahren Werts des Meeres bewusst. Sie wissen sehr wohl, dass es billiger ist, ein geschädigtes Meer zu retten als ein zerstörtes Meer wiederherzustellen.
Wenn man Sie morgen zur EU-Kommissarin für Umwelt, Meere und Fischerei ernennen würde, was würden Sie in Ihrer ersten Amtswoche für den Schutz der Meeresumwelt tun?
Ich würde meine Mitarbeiter bitten, einen Vorschlag für einen neuen Rechtsakt auszuarbeiten: ein EU-Meeresgesetz. Warum, fragen Sie sich vielleicht. Wir haben ja schon die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ( MSRR ), die gemeinsame Fischereipolitik ( GFP ) und andere Rechtsvorschriften, es fehlt jedoch noch immer an einer übergeordneten Strategie und an Umweltzielen für unsere Meere! Die meisten Menschen wissen, dass wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen müssen, aber welches Ziel müssen wir uns zur Rettung der Ozeane setzen?
Wir brauchen messbare Ziele und Fristen. Ein Meeresgesetz wird die Richtung vorgeben und wäre ein klares Signal an die Gesellschaft. Darüber hinaus wird es die Sicherheit und Stabilität schaffen, die Unternehmen benötigen, um in neue Lösungen zu investieren, so dass die EU zu einem Vorreiter bei der Ökowende wird, die Kern des europäischen Grünen Deals werden kann. Ich sehe den Nutzen eines Meeresgesetzes auch darin, dass wir die Öffentlichkeit mit an Bord nehmen und die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen motivieren und die EU damit ihren Teil zu den wichtigen Anstrengungen beiträgt, die weltweit zum Schutz der Ozeane im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ( SDG ) unternommen werden.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Bemühungen um den Schutz der Meeresumwelt und dem europäischen Grünen Deal?
Es ist jetzt an der Zeit, einen Neuanfang zu machen und das Richtige zu tun! In der EU haben wir die Ideen, die Technologie und das Know-how für den Übergang zu einem klimaneutralen Europa. Die Klimapolitik der EU ist das Kernstück des europäischen Grünen Deals. Wie bereits erwähnt, sind die Ozeane unentbehrlich für die Klimaregulierung. Daher muss das Klimagesetz durch ein Meeresgesetz mit Zielen und Fristen für die Verbesserung der Meeresumwelt ergänzt werden.
Bei den Maßnahmen zur Rettung der Meere geht es um die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt, die Verringerung der Umweltverschmutzung und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft – all dies sind Kernbereiche des europäischen Grünen Deals. Derzeit werden die EU-Mittel für die Verbesserung der Meeresumwelt nicht ausgeschöpft, doch die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften können mit der richtigen Hilfestellung Maßnahmen und Projekte auflegen, die dazu beitragen, die Ozeane zu retten, Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft anzukurbeln. Das wäre zugleich gut für die Erholung von der durch die COVID-19-Pandemie verursachten wirtschaftlichen und sozialen Krise.
Was sollten für alle Küstenstädte und -regionen der EU in den nächsten fünf bis zehn Jahren die drei wichtigsten Prioritäten sein?
Das hängt natürlich in erster Linie davon ab, wo die jeweilige Stadt oder Region liegt. Die Problemlage in den vier Meeresbecken der EU ist unterschiedlich. Es gibt jedoch einige vorrangige Maßnahmen, die wir in Betracht ziehen sollten:
Schutz von Lebensräumen in Küstenzonen – mögliche Maßnahmen wären: Bewirtschaftungsvorschriften für Meeresschutzgebiete innerhalb der Zwölfmeilenzone erlassen, neue Fischfangvorschriften für das Gebiet festlegen, den Schiffsverkehr verringern, lärmreduzierte Buchten schaffen, die städtebauliche Planung überprüfen und für einen nachhaltigen Tourismus sorgen.
Verringerung des Nährstoffeintrags in das Wasser – mögliche Maßnahmen wären: mit örtlichen Landwirten ins Gespräch kommen, um landwirtschaftliche Praktiken zu ändern und den Düngemitteleinsatz zu verringern, die Abwasserbehandlung verbessern, Abwasser in ländlichen Gebieten auffangen und behandeln und Feuchtgebiete zur Verminderung des Nährstoffabflusses schaffen.
Verringerung von Abfällen, Verschmutzung und Unterwasserlärm – mögliche Maßnahmen wären: bessere Einrichtungen in Häfen für die Abfall- und Abwasserentsorgung, landseitiger Stromanschluss für Schiffe, die Schiffswegeführung ändern und mit Hinterlandregionen Projekte zur Vermeidung der Flussvermüllung und - verschmutzung durchführen.
Hintergrund:
Der Stellungnahmeentwurf „Beitrag der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zum Schutz der Meeresumwelt“ ist ein Dossier der AdR-Arbeitsgruppe „Der Grüne Deal – Going local“ . Die im Juni 2020 eingesetzte Arbeitsgruppe aus 13 lokalen und regionalen Mandatsträgern soll dafür sorgen, dass die Städte und Regionen der EU direkt an der Festlegung, Umsetzung und Bewertung der zahlreichen Initiativen beteiligt werden, die im Rahmen des europäischen Grünen Deals – der EU-Strategie für nachhaltiges Wachstum zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 – durchgeführt werden.
Reducing marine litter. Briefing des Europäischen Parlaments (2019).
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