Interview mit Markku Markkula (FI/EVP), AdR-Berichterstatter zum Thema EU-Missionen
Markku Markkula (FI/EVP), Mitglied des Stadtrates von Espoo und Präsident der Region Helsinki, hat eineStellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen zum Thema Europäische Missionen erarbeitet. Die Stellungnahme wurde auf der AdR-Plenartagung am 27./28. April verabschiedet. In diesem Interview erläutert Berichterstatter Markkula die Bedeutung der Missionen und den Beitrag der regionalen und lokalen Ebene zu den Bemühungen der EU um eine Beschleunigung des grünen und des digitalen Wandels und um Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität.
1.Die Europäische Kommission veröffentlichte Ende April eine Liste von 100 Städten, die sich an der Mission für klimaneutrale und intelligente Städte beteiligen. Welche Möglichkeiten bieten sich dabei den Städten?
Die Mission ist eine enorme Chance. Was diese Mission besonders auszeichnet, ist die Zusage der Städte, bis 2030 die CO2- und Klimaneutralität zu erreichen. Die Zeit zum Handeln drängt also! Die 100 ausgewählten Teilnehmerstädte werden Vorreiter und Wegbereiter für andere sein, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen festgestellt hat. Die EU wird noch in diesem Jahr und im nächsten Jahres 360 Millionen Euro für die neuen Maßnahmen bereitstellen. Die EU-Finanzierung soll dann durch Finanzmittel von Privatunternehmen und kommunaler und nationaler Finanzierungsquellen auf ein Vielfaches gehebelt werden. Dabei werden öffentliche und private Mittel als Multiplikatoren für die Maßnahmen eingesetzt. Nun heißt es für diese 100 Vorreiterstädte wahrscheinlich „Volle Kraft voraus!“ in Richtung auf eine umweltgerechtere und bessere Zukunft für die ganze Welt. Von ihren Bemühungen werden auch alle anderen Städte profitieren.
2.Insgesamt gibt es fünf verschiedene Missionen. Könnten Sie uns kurz etwas über die Missionen und ihre Bedeutung erzählen?
Die EU-Missionen wurden mit John F. Kennedys Entscheidung aus dem Jahr 1961 verglichen, dass die USA binnen zehn Jahren Menschen auf den Mond schicken wird. Das Unmögliche wurde damals wahr gemacht – ohne Abstriche bei den Kriterien Sicherheit und Qualität. Bei allen fünf Missionen gibt es qualitative und quantitative Ziele, die bis 2030 erreicht werden sollen. Bei vier der fünf Missionen geht es unmittelbar um das Klima bzw. die Sauberkeit von Boden, Luft und Wasser. Auch die fünfte Mission steht in engem Zusammenhang damit, bei ihr geht es um Gesundheitsaspekte, konkret Krebserkrankungen. Wir wollen zusammen mit der EU durch Bottom-up-Maßnahmen Ergebnisse erzielen, die sich weltweit anwenden lassen. Die EU ist also Vorreiter, der auch andere unterstützt.
3.Die EU-Missionen sind ein völlig neues Instrument. Welchen Mehrwert haben sie im Vergleich zu den verschiedenen EU-Finanzprogrammen?
Die Bedeutung und der Umfang der Missionen werden allein daraus ersichtlich, dass bis zu zehn Kommissionsmitglieder an der diesbezüglichen Information und Unterrichtung der Kommission beteiligt waren. Missionen sind ein neues und relevantes Instrument, um Ressourcen konzentriert für die dringenden globalen Herausforderungen einzusetzen. Putins Krieg gegen Demokratie und Freiheit in der Ukraine und in ganz Europa hat uns vor Augen geführt, dass wir schneller zu Lösungen gelangen und mehr denn je gemeinsame Ressourcen zur Bewältigung dieser drängenden Herausforderungen einsetzen müssen. Dies geschieht jedoch nicht durch bloße Beschlüsse aus Brüssel oder den Mitgliedstaaten, sondern das muss von der Basis kommen – Städte, Regionen, Bürger und Unternehmen sind gefragt.
4.Ihre Stellungnahme wurde vom Ausschuss der Regionen am 27. April verabschiedet. Welche zentralen Botschaften an die Regionen und Städte enthält sie in Bezug auf die Umsetzung der Missionen?
Diese außerordentlich aussagekräftige Stellungnahme entstand in einem umfassenden Prozess, bei dem ich als Berichterstatter mit den Leitern aller fünf Missionen und ihren Teams persönlich zusammenkam. Zudem konnte ich Fachleute vom französischen Ratsvorsitz zu der Frage konsultieren, wie sich diese ehrgeizigen Ziele erreichen lassen. Jetzt geht es vor allem darum, allen offen zu vermitteln, was wir erreichen wollen und welche Ressourcen und Finanzmittel wir einsetzen können. Maßnahmenpakete dieser Art sind sowohl EU-weit als auch auf lokaler Ebene notwendig. Das Schlüsselwort lautet hier Abstimmung: keine isolierten Maßnahmen im eigenen Kämmerlein oder Sandkasten, sondern ein zielstrebiges gemeinsames Vorgehen und ein Wille zu Synergien und zur entschiedeneren Nutzung der Expertise und des Know-hows der verschiedenen Akteure. „Von andern lernen und gemeinsam handeln“, lautet die Devise.
Ein zweiter zentraler Aspekt der Stellungnahme ist der Bedarf an umfangreichen zusätzlichen Mitteln und Investitionen in FuE. Diese sollen im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften mobilisiert werden. Was die erforderlichen Technologien angeht, um die Energieziele und andere Lösungen rechtzeitig bis 2030 zu erreichen, so stehen diese derzeit zu etwa einem Drittel zur Verfügung. Ein zweites Drittel befindet sich in der Erprobungs- und Pilotphase, und das letzte Drittel dieser Technologien und Kenntnisse ist derzeit noch in der Grundlagenforschung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Es gibt also viel zu tun. Wir benötigen dieses Wissen auf lokaler Ebene, und es muss für den Einsatz dort mobilisiert werden. Es kommt also in diesem Prozess entscheidend auf die lokale Ebene und die Städte sowie ihre Partner an.
5.Sie haben Ihre Stellungnahme auch auf der Sitzung der Null-Schadstoff-Plattform der Interessenträger am 25. April vorgestellt. Wie sehen Sie die Rolle der Missionen in diesem Zusammenhang und ganz allgemein bei der Verwirklichung der Klimaziele der EU?
Es ist mir eine Ehre, als zweites Mitglied des Europäischen Ausschusses der Regionen an diesem Forum teilnehmen zu dürfen. Die Null-Schadstoff-Plattform der Interessenträger ist ein gemeinsames Projekt der Europäischen Kommission und des AdR, an dem rund 30 europäische Netze und die in ihren jeweiligen Bereichen führende Organisationen beteiligt sind, darunter alle wichtigen Akteure, die sich tagtäglich für das Klima und die Schadstofffreiheit der Luft, des Wassers und des Bodens einsetzen. Im Rahmen der Missionen werden diese Maßnahmen mit EU-Mitteln durchgeführt, und nun müssen wir die vorrangigen Maßnahmen festlegen. Nehmen wir das Beispiel Finnland: Die 1 000 Wissenschaftler vom Institut für natürliche Ressourcen (LUKE) müssen noch stärker für diese Art der Zusammenarbeit mobilisiert werden, die die Städte und Regionen in Zusammenarbeit mit Unternehmen in ihrer Entscheidungsfindung umsetzen – nicht nur in Finnland, sondern überall in der EU und weltweit. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass die Ergebnisse und Erkenntnisse der Forschung schneller nutzbringend zum Einsatz kommen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Forschern diesbezüglich zur Seite zu stehen. Auch hier schafft die Null-Schadstoff-Plattform die Voraussetzungen, und die Missionen sind ein Instrument für die praktische Umsetzung.
6.Die Missionen sind auch eng mit dem digitalen Wandel verbunden. Wie können Innovationen in diesem Bereich zur Verwirklichung der Ziele der EU und zur Klimaneutralität beitragen?
Alle Tätigkeiten der Missionen müssen einen Bezug zu den alltäglichen Abläufen in den Gemeinden und Städten und natürlich zu ihrer Neugestaltung haben. Die derzeitigen Abläufe müssen grundlegend, ja sogar radikal geändert werden, und dabei spielen Digitalisierung und künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle. Meiner Meinung nach sind die wichtigsten Themen die phänomenorientierte Gestaltung der Zukunft, die digitale Infrastruktur mit Schwerpunkt auf effizienter Interoperabilität, die digitale Sicherheit, die Initiative MyData und DigiMinä sowie eine Datenwirtschaft, die die nachhaltige Entwicklung beschleunigt. Alle diese Maßnahmen sind nötig, um die zentrale Bedeutung des Menschen für eine nachhaltige soziale Entwicklung zu untermauern. Wissen und bewährte Verfahren aus der ganzen Welt müssen weitergegeben und auf die Verhältnisse bei uns in Espoo und in anderen Städte zugeschnitten werden. Dabei handelt es sich um einen enormen Lernprozess, in dem die umfassende Nutzung des Potenzials von Wissen und Technologie sowie lebenslanges Lernen und Innovation die Schlüsselkonzepte sind. Sie müssen in einer Weise in die Praxis umgesetzt werden, die wir möglicherweise noch nicht ausreichend erkannt haben. Außerdem müssen wir aus der COVID-19-Krise lernen und eine neue Normalität schaffen, in der weltweit die vielseitige geistige, physische und virtuelle Zusammenarbeit im Vordergrund steht.
7.Könnten Sie einige Beispiele dafür nennen, wie die EU-Missionen den grünen und den digitalen Wandel praktisch unterstützen? Wie können sie die Lebensqualität der Bürger verbessern, beispielsweise in Ihrer Heimatstadt Espoo?
Zunächst einmal ist es großartig, dass Espoo und fünf weitere finnische Städte zu den 100 Städten der EU-Mission gehören. Als Beispiel aus Espoo könnte ich etwa nennen, dass wir dort innerhalb der nächsten drei Jahre aus der Kohlenutzung aussteigen werden. Mit Fortum, der Betreiberfirma des Fernwärmenetzes, und anderen Unternehmen wurde rund ein Dutzend größerer Investitionsvorhaben auf den Weg gebracht, um den Kohleausstieg zu schaffen und die Nutzung erneuerbarer Ressourcen und Energiequellen zu verbessern. Ein weiteres Beispiel ist die gemeinsame Suche mit dem technischen Forschungszentrum VTT sowie mit Hochschulen und Fachhochschulen nach neuen Lösungen z. B. in der Stadtplanung; es werden kompakte städtische Dörfer aus Kleinhäusern entwickelt, die ganz Europa beispielhaft vor Augen führen, wie man nachhaltig leben, arbeiten und mobil sein kann. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bahnbrechende Lösungen dieser Art gefordert, die in jeder Stadt benötigt werden. Es ist wichtig, dass die Städte zusammenarbeiten, stärker als bisher an der Politikgestaltung der EU mitwirken und beobachten, wie anderswo gute Lösungen vorangebracht werden.
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